Die Theorie der psychologischen Reaktanz nach (Brehm, 1966) beschreibt ein motivationales Verhalten (eine motivationale Erregung), welche bei Personen auftritt, die sich in ihrer persönlichen Freiheit eingeengt fühlen. Als Reaktion auf die eingeengte oder eliminierte Freiheit, folgt Widerstand in Form von antikonformen Verhalten (Reaktanz), welche versucht die eingeengte oder eliminierte Freiheit wiederherzustellen. Die Person baut somit gegen den Versuch des Einflusses ein Abwehrverhalten auf.
Grafik: Bilgin, 2015
Widerstände können zum Erhalt bestehender Lebensumstände und -formen, jedoch auch gegen bestehendes, im Sinne eines Abwehrverhaltens führen (Stadler & Kern, 2010; Stumm & Pritz, 2000). Ein Wiederstand entsteht durch die Auffassung, wie gewinnbringend eine Veränderung oder ein Einflusspotenzial sein kann und ob durch diesen eine bessere Zukunft in Aussicht gestellt wird (Thiel, 2009; Zülsdorf, 2008). Ein Widerstand ist aus der Sicht des Beeinflussers das „wahrgenommene Verhalten anderer, die nicht bereit zu sein scheinen, Einflussnahme oder Hilfe zu akzeptieren“ (Nevis 1988,S. 169 zit. In: Thiel, 2009, p. 232). Mögliche Reaktionen auf die Veränderungen und Einflusspotenziale sind zum einen die Konformität, die Anpassung an die Veränderungen und zum anderen die Opposition, der Widerstand gegen die Veränderungen. So wird gegenüber den initiierten Einflussversuch zum Beispiel in Form von Druck, Zwang, „jegliche Art von Festlegung auf eine bestimmte Reaktion, sei es durch aggressive Instruktionen.“ (Grabitz-Gniech & Zeisel, 1974) ein Widerstand ausgeübt (Dickenberge & Gniech, 1992). Der erwartete Wiederstand von freiheitseinengenden Instruktionen muss kein direkter offener Wiederstand sein, dieser kann häufig indirekt in Form von aggressiven Gefühlen erfolgen (Merz, 1984). Ein Widerstandsverhalten entsteht aus reaktanten Verhaltensmustern (Grabitz-Gniech & Zeisel, 1974; Mandl, Kopp, & Dvorak, 2004).
Ein Widerstand entsteht als Folge von Freiheitseinengungen (Merz, 1984).
„Gerade in Arbeitsfeldern, bei denen Menschen unfreiwillig Veränderungsprozessen unterworfen sind, kann sich Reaktanz in massiven Widerstandsreaktionen äußern.“ (Stadler & Kern, 2010, p. 294) Doch auch bei freiwilligen Entscheidungen, wie der Entschluss eine Berufsausbildung anzutreten, können Veränderungsprozesse und Abweichungen von idealtypischen Vorstellungen Einflussfaktoren sein (Stadler & Kern, 2010).
State / Trait Reaktanz
Grafik: Bilgin, 2015
»In jeder psychodiagnostischen Messung fließen sowohl konsistenze und auch
inkonsistenze Merkmale einer Person mit ein.« (Kelava, A. & Schermelleh-Engel, K. 2012)
State-Reaktanz: Inkonsistente/ zeitlich instabile Merkmale [Zustand]
situativ angeregter / gesteuerter Prozess, durch interne oder externe Reize. (vgl.Mc Clelland, 1985)
Trait-Reaktanz: Konsistente / zeitlich stabile Merkmale [Eigenschaft, Disposition]
überdauernde Persönlichkeits-eigenschaft, die die Wahrnehmung der Umwelt beeinflusst. (vgl. Mc Clelland, 1985)
»Vernachlässigt der Konstrukteur die Kontrolle potentiell situativer Einflüsse auf die Messung
bei der Entwicklung des Messinstruments, führt die Anwendung des Messinstrumentes leicht zu
Fehlinterpretationen. Die Konstruktvalidität würde etwa dann gemindert, wenn situative Einflüsse
irrtümlich als Traiteinflüsse interpretiert werden.« (Kelava, A. & Schermelleh-Engel, K. 2012)
Möglichkeiten der Freiheitseinengung
Durch die Regression von Verhaltens- oder Meinungsalternativen einer Person, kann die Freiheit einengt, oder im extremfall eliminiert werden, so dass die Person keinerlei an alternativen Möglichkeiten mehr zur Verfügung hat Raab, et. all. (2010) und Wicklund, et al. (1974) beschreiben hierzu drei Möglichkeiten der Realisierung einer Freiheitsbedrohung. Nach Dieckenberger, et. all. (1993) lässt sich der Freiheitsspielraum aus allen subjektiv erwarteten Verhaltensalternativen beschreiben, welche unabhängig davon sind, ob diese gegenwärtig, oder in naher Zukunft zur Verfügung stehen.
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aktiver Sozialer Einfluss von außen
»sozialer Einfluss, der in erster Linie durch Kommunikation erfolgt.«
(Gerhard, R., Unger, A. & Unger, F., 2010)
passiver Sozialer Einflussvon außen
»umweltbedingte Gegebenheiten und /oder Entwicklungen,
die nicht in direktem Zusammenhang mit Personen stehen.«
(Gerhard, R., Unger, A. & Unger, F., 2010)
aktive/passive Behinderung von innen
»eigenes Verhalten, und zwar Entscheidungen für eine und gegen andere Alternativen.«
(Gerhard, R., Unger, A. & Unger, F., 2010)
Reaktanz im Alltag
Reaktantes Verhalten findet sich in alltäglichen Gegebenheiten wie zum Beispiel in der Erziehung, von Kindern im Totzalter, bei Verboten und Geboten, psychologischen oder medizinischen Therapien, zwischenmenschlichen Interaktionen und bei ausverkauften Waren wieder (Bierhoff, 2006, 100).
Fragebogen zur Messung der psychologischen Reaktanz
Hinweise zum Untersuchungsgegenstand
Liebe Schülerinnen und Schüler,
im Folgenden werden einige Fragen aufgelistet, welche die Reaktanz erfragen wollen.
Bitte lesen Sie die Fragen aufmerksam durch und wählen Sie jeweils eine Auswahlmöglichkeit.
Ihre Angaben werden anonymisiert für die Wissenschaft verwendet, daher ist kein Name notwendig.
Vielen Dank für die Teilnahme an unserer Umfrage!
Fragebogen
Titel: Fragebogen zur Messung von psychologischer Reaktanz
Anmerkung: Optimiert mittels klassischer und IRT-basierter Analysemethoden nach (Herzberg, 2002)
Rasch-homogenes Messinstrument
Autor: Merz, 1983; Herzberg, 2002
Veröffentlicht in: Diagnostica 1983, Band XXIX, Heft 1, S. 75 – 82
Items: 12
Verfügbare Sprachen: Deutsch, Englisch, Türkisch
Literaturverzeichnis
Brehm, W. J. (1966). A Theory of Psychological Reactance. (L. Festinger & S. Schachter, Eds.).
New York, London: Academic Press.
Bierhoff, H.-W. & Frey, D. (2006). Handbuch der Sozialpsychologie und Kommunikationspsychologie.
Göttingen, Bern, Wien. 494- 503.
Dickenberge, G., & Gniech, D. (1992). Die Reaktanz-Theorie. Bremer Beiträge Zur Psychologie, 104, 28.
Grabitz-Gniech, G., & Zeisel, B. (1974). Bedingungen für Widerstandsverhalten in psychologischen Experimenten:
Ton der Instruktion sowie Einstellung zum Forschungsgegenstand und Studienfach der Versuchs-.
Zeitschrift Für SoziologieSoziologie, 3(2), 138–148.
Herzberg, P. Y. (2002). Zur psychometrischen Optimierung einer Reaktanzskala mittels klassischer
und IRT-basierter Analysemethoden. Diagnostica, 48, 163–171.
Kelava, A. & Schermelleh-Engel, K. (2012). Latent-State-Trait-Theorie. In H. Moosbrugger & A. Kelava (Hrsg.),
Testtheorie und Fragebogenkonstruktion (2., aktualisierte und überarbeitete Auflage) (S. 363-382).
Heidelberg: Springer.
Mandl, H., Kopp, B., & Dvorak, S. (2004). Aktuelle theoretische Ansätze und empirische Befunde
im Bereich der Lehr-Lern-Forschung – Schwerpunkt Erwachsenenbildung –. Psychologie Schweizerische
Zeitschrift Für Psychologie und ihre Andwendungen, 100. Retrieved from
http://www.die-bonn.de/esprid/dokumente/doc-2004/mandl04_01.pdf
McClelland, D.C. (1985b). Human motivation. London: Scott, Foresman & Co.
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Stadler, C., & Kern, S. (2010). Psychodrama. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
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Stumm, G., & Pritz, A. (Eds.). (2000). Wörterbuch der Psychotherapie. Vienna: Springer Vienna.
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Thiel, H.-U. (2009). Handbuch Supervision und Organisationsentwicklung. (H. Pühl, Ed.)Supervision.
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. http://doi.org/10.1007/978-3-531-91556-2
Zülsdorf, R.-G. (2008). Strukturelle Konflikte im Unternehmen.
http://doi.org/10.1007/978-3-8349-9565-0